Der genau richtige Ort

Shownotes

Text und Stimme: Ursula Holsten Lektorat: Evi Kleinöder Ton: Tobias Fischer Foto: Gisela Gürtler

Transkript anzeigen

Der genau richtige Ort

Eine Freundin ruft an, sie ist gerade bei uns im Kiez unterwegs, fragt ob ich Zeit für einen gemeinsamen Kaffee habe. Soeben habe ich meiner Tochter versprochen zum Spielplatz zu gehen, also einigen wir uns auf „Kaffee am Spielplatz“. Ich packe in eine leere Gemüsekiste Kaffee, Milch, ein Tuch und Gebäck. Wir treffen uns am Spielplatz, sitzen am Rand des Sandkastens, die Gemüsekiste wird zum Tischchen, das Tuch zur Tischdecke und so trinken wir unseren Kaffee. Das Kind klettert und futtert das Gebäck weg, wir reden. Eine schöne Pause im Alltag, der Ort ist genau richtig.

Für unsere Familienweihnacht hat sich irgendwann ein Ortswechsel angeboten: wir sind nicht mehr richtig Kinder, die Eltern leben in Trennung. Da ist es eine eigenartige Vorstellung weiterhin zu Hause um den Christbaum zu sitzen. Da die Familie geografisch ziemlich weit gestreut ist ergeben sich gemeinsame Treffen aber nicht von selber, und so ganz wollen wir darauf doch nicht verzichten. So beginnen wir uns irgendwann zwischen Oktober und Februar in einer immer anderen Stadt zu treffen zur sogenannten „Familienweihnacht“. Einen Tag verbringen wir alle gemeinsam, mal auf dem Fondueschiff am Vierwaldstättersee, mal beim Kunstsupermarkt in Solothurn, mal quer durch Bern wandernd, mal an einer Feuerstelle in der französischen Schweiz. Einmal reisen sogar alle nach Berlin, weil wir da nicht weg können. Neuer Ort, neue Spielform, aber auch wenn von außen keine Ähnlichkeit mit einer Weihnachtsfeier zu erkennen sein mag, gefühlt ist für mich dann „Familienweihnacht“. Den Heiligabend feiern wir seit Jahren gemütlich mit Freunden in Berlin, damit ersparen wir uns die Reise an den Feiertagen quer durchs Land in überfüllten Zügen.

Zu unserer Hochzeit möchten wir auch Menschen aus unseren alten Heimaten einladen, was für diese bis zu 900 km Weg bedeutet. Reicht es, sie dann vor einer vornehmen Kulisse mit auf dem Foto zu haben, wenn wir nicht wirklich dazu kommen uns mit ihnen zu unterhalten? Es reicht uns nicht. Wir entscheiden uns deshalb gegen einen Festsaal und finden ein Naturzentrum im Wald außerhalb von Berlin. Hier können alle in Ferienwohnungen und Schlafsälen unterkommen. Es ist einfach, aber wir sind unter uns. Die eigentliche Feier ist für Samstag angesagt. Jede und jeder kann Donnerstag, Freitag oder Samstag anreisen, ganz wie es passt. Dadurch haben wir Gelegenheit bei manch einem Waldspaziergang, am Lagerfeuer oder bei einem einfachen Abendbrot mit den Freunden in Ruhe zu sprechen. Manche haben wir schließlich seit Jahren nicht gesehen.

Wer länger schon da ist, wird in die Festvorbereitung mit einbezogen. Gemeinsam wird der vom Förster gelieferte Holzberg zum Lagerfeuer gebracht. In einer langen Kette reichen wir die Holzstücke von Hand zu Hand. Viele Kinder sind mit von der Partie. Die gemeinsame Zubereitung des Spanferkels wird überhaupt ihr Highlight. So wird am nächsten Tag das sichtlich tote Schwein gemeinsam mariniert, am folgenden Tag wird ein riesiges Feuer gemacht, der große Körper aufgespießt und das Ferkel Stunde für Stunde von Hand gedreht. Ein Erlebnis von dem die Kinder noch Jahre später erzählen.

Viele Berliner Freunde kommen erst Freitag nach der Arbeit oder Samstag angereist, aber zur eigentlichen Hochzeitsparty sind alle da und eine Bekannte legt als DJane wirklich gute Musik auf. Einer gut organisierten Freundin darf ich derweilen mein Telefon überlassen, ein Freund kümmert sich um die Zahlungen, der Bruder meines Mannes macht den Fahrdienst und zwei Freunde übernehmen das Fotografieren. So haben wir Zeit für die Gäste, die da sind. Das Umweltzentrum kocht für uns, einfache, ganz gute Ferienlagerküche. Wir müssen nur selber auf und ab decken.

Für uns ist das der richtige Ort zum Feiern, trotz dem vielen Aufwand im Vorfeld, denn das Haus ist solche Anlässe nicht gewohnt und nicht leicht erreichbar. Doch uns schenkt der Ort viel Gemeinsam-Zeit zu einem moderaten Preis. Und unsere Freunde aus der alten und neuen Heimat lernen sich kennen. Bei der DJane und unserem Musikerfreund, die sich bei der Feier kennenlernen, sind wir Jahre später selber zur Hochzeit eingeladen. Der Standesamtssaal platzt fast aus allen Nähten, und es wird standesgemäß munter und laut musiziert.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.