Picknick auf Parkett und ein gelber Stuhl

Shownotes

Achtzehnter Geburtstag wider Willen. Zwei Jahre später Einzug in der ersten Wohnung, eine Freundin kündigt sich an. Doch was hat das Picknick mit dem Art Deco Stuhl zu tun?

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Picknick auf Parkett und ein gelber Stuhl

An meinem 18. Geburtstag teilt mir meine 10 Jahre jüngere Schwester mit: "Du bist jetzt 18, du ziehst jetzt aus. Ich kriege dein Zimmer." Ausziehen ist noch gar nicht mein Thema, ich bin schwer engagiert in meinem Jugendchor und unglücklich verliebt, nur aufs eigenständige Autofahren freue ich mich. Meinen Geburtstag mag ich eigentlich gar nicht feiern, meine Freundinnen machen mir – wider Willen - einen richtig schönen Tag. 2 Jahre später kommen wir alle ich aus der letzten Prüfung einer wirklich langen Schulzeit. Draußen warten meine Schulfreundinnen. Welch großer Moment! Doch Freude will nicht wirklich aufkommen. Eine sehr pflichtbewusste Schulkollegin überlegt fieberhaft, was sie noch hätte besser machen können, allgemein steht die Frage im Raum: Wohin nun?

Ich will erst mal raus aus der Schule, und nun doch weg. Obwohl ich mit dem Französischunterricht immer gekämpft habe, reizt mich die französischsprachige Schweiz. Ich finde schließlich eine Wohnung in Lausanne und einen Job als deutschsprachige Telefonistin in Genf. Ich werde die nächsten Monate richtig viel Zeit in Bussen und Zügen verbringen. Doch was solls, ich ziehe in meine erste eigene Wohnung, meine kleine Schwester bekommt mein Zimmer Zuhause.

Bei Ikea hole ich die ersten sechs großen Teller mit dunkelblauem Rand, zwei Chinesische Schalen und eine kleine Grundausstattung an Kochgeschirr. Es ist einsam in meinem Zimmer, aber ich bin vor lauter durch die Gegend fahren ja eh kaum Zuhause. In der Küche kann ich mich gerade mal umdrehen, aber mit Blick aus dem Fenster auf der Arbeitsfläche sitzend essen. Da ist ein alter Einbauschrank und eine Matratze, einen Stuhl hab ich nicht.

Nun kommt mich eine ehemalige Schulfreundin besuchen. Sie ist mein erster Gast in meiner eigenen Wohnung! Aufgeregt koche ich so gut ich das halt schon kann. Auf der Arbeitsfläche in der Küche können wir nicht beide sitzen. Also decke ich all mein schönes, neues Ikeageschirr ein, und wir setzen uns im Schneidersitz zum Essen, mitten auf den leeren Parkettboden. Ich bin glücklich und ein bisschen stolz und wir müssen beide viel lachen über dieses „Festmahl“.

Von diesem ersten Besuch und meiner ersten Wohnung ohne Stuhl erzähle ich einige Tage später einer fremden Frau im Zug zwischen Genf und Lausanne. Sie meint darauf hin, dass sie einen Stuhl zu verschenken hat. „Ich wohne aber in Lausanne“ sage ich, sie „ich auch, ziemlich weit oben am Berg“. Ich auch und schließlich stellen wir fest, dass sie nur drei Häuser weiter wohnt. So klein ist die Stadt eigentlich gar nicht. Ich hole also bei ihr meinen ersten, eigenen Stuhl ab. Er ist richtig alt, Art Deco oder so, mit knarrenden Metallfedern und unten kommt Stroh heraus.

Seither begleitet der Stuhl mich durchs Leben und er erinnert mich an die Zeit in meiner ersten Wohnung. So richtig drauf sitzen kann man nie, er ist einfach zu zierlich und immer etwas wackelig. Ende Studium, frage ich trotzdem ganz vorsichtig in einer Polsterei an, was so ein Aufpolstern irgendwann mal kosten würde. Der nette Polsterer hat ein Stück gelbes Leder von einem anderen Kunden übrig, dieser hatte sich einen Sessel damit beziehen lassen und dann festgestellt, dass ihm die Farbe doch nicht gefällt. Er polstert mir den Stuhl mit dem gelben Leder für einen Freundschaftspreis auf. So liegen auch sechs Umzüge und fünfundzwanzig Jahre später meine Kleider auf einem gelb gepolsterten Art Deco Stuhl.

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